Die Vergessenen
November 2013, die Westukraine. Hilfsorganisationen begannen im ganzen Land, Runde Tische einzurichten, um Informationen für einen Armutsbericht zu sammeln. Doch bevor sie zu Ergebnissen kommen, bricht die Revolution aus und kurz darauf der Krieg, keine Zeit mehr für Reformen. Einen Armutsbericht hat es nie gegeben. Alles was geblieben ist, sind diese Bilder. Sie hätten ihn nur illustrieren sollen, nun sind sie sein einstweiliger Ersatz. Sie markieren die Stelle, an der ein Armutsbericht der Ukraine nach wie vor fehlt. Und das tut er gewiss.
Alle Menschen, die wir besuchten, empfingen uns mit Freundlichkeit und Offenheit und baten uns ohne Scham herein. Dort war es manchmal sehr beengt. Nur wenige hatten hier eine Arbeit, zu der sie hätten gehen können. Die Kinder durften hinaus in die Schule, aber sonst spielte
sich das Leben der Armen in der kalten Jahreszeit zuhause ab. Fünf, sechs, sieben, teilweise acht Menschen lebten in ein oder zwei Räumen, von denen meist nur einer geheizt war.
Die Wohnungen oder kleinen Häuser, in denen sie wohnen, gehören den Menschen in der Ukraine zumeist. Sie sind ihr einziger Besitz. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren die meisten Wohnungen in den Besitz ihrer damaligen Bewohner übergegangen. Seitdem werden sie meistens vererbt. Wenn man sich heute, 2023, im zweiten Jahr des russischen Krieges gegen die Ukraine, fragt warum Menschen selbst in umkämpften Orten bleiben wollen, anstatt sich evakuieren zu lassen, so ist es vielleicht genau deswegen. Ihnen gehört ihre Wohnung, Hausrat und das, was sie am Leibe tragen. Wenn sie fortgehen, nur noch das, was sie am Leibe tragen.
Die dokumentarischen Bilder hätten den gedruckten Bericht illustrieren sollen, eine Ausstellung mit den Portraits hätte den Hintergrund für seine Präsentation bilden sollen. Die Menschen, um die es darin geht, hätten die Vertreter der Öffentlichkeit von allen Seiten her ansehen sollen.
Es wäre daher nun schön, wenn sich einmal ein Ausstellungsort fände, der groß genug für alle 75 Portraits und einen Teil der übrigen Bilder ist. Das wäre, wenn man der Ausstellungsskizze folgt, eine Ausstellungsfläche von ca. 75 laufenden Metern.
↑nach oben